La Maison en Lorraine

Das Tagebuch des Henri Cuillère

Prologue

Was der geneigte Leser in den folgenden Kapiteln dargestellt findet, beruht auf Auszügen des Tagebuchs von Henri Cuillère - wenn er denn ein Tagebuchschreiber gewesen wäre.

Henri war Sohn eines wohlhabenden französischen Fabrikanten, der es verstanden hatte in der Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 aufgrund vorhandener, und klug vor dem Krieg diskret in der Schweiz angelegter, Barmittel etliche Textilfabriken in jenem Teil von Lothringen aufzukaufen, der nach dem Frieden von Frankfurt bei Frankreich verblieben war.

Diese Fabriken waren in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg günstig zu erstehen gewesen, da wirtschaftlich zu jener Zeit nahe dem Abgrund.

In den 1880er Jahren machte sich jedoch eine spürbare wirtschaftliche Erholung bemerkbar. Gerade im nahen Deutschland hatte nach dem Krieg eine geradezu stürmische Entwicklung eingesetzt, nicht zuletzt auch wegen der horrenden Reparationszahlungen, die das unterlegene Frankreich an das neu gegründete Deutsche Reich zahlen musste. Auch wenn dem unmittelbaren Nachkriegs-Boom bereits 1873 ein herber Crash die sogenannte „Gründerzeit“ wieder auf den Boden der Realität zurückbeförderte, so war durch die beschleunigte Industrialisierung ab den 1880er Jahren eine stetige Verbesserung der Lebensverhältnisse beiderseits der Grenze zu beobachten. In diesem Umfeld war die Familie Cuillère zu beträchtlichem Reichtum gelangt.

Der Vater von Henri hatte in den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Aufschwung hinein in moderne Dampfmaschinen investiert und die Produktion durch entsprechende Mechanisierung und Rationalisierung erheblich gesteigert. Ohne Zweifel war dies eine weise Entscheidung gewesen, denn die Gewinne wuchsen von Jahr zu Jahr.

Vater Cuillère hatte in weiser Voraussicht noch vor seinem Tod im Jahre 1887 einen fähigen Geschäftsführer ausfindig gemacht, da sein Sohn Henri sich nicht durch besonderen Eifer auszeichnete in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Im Wohlstand großgeworden, konnte Henri es sich leisten, sich den schönen Dingen des Lebens wie Kunst, Musik und Literatur, und nicht zuletzt dem weiblichen Geschlecht, zu widmen. Alle erzieherischen Versuche seitens seines Vaters ihn zu mehr praktischen Künsten anzuhalten waren fehlgeschlagen, und so hatte sich Vater Cuillère schlussendlich damit abgefunden.

Sein Sohn Henri beschränkte sich nach dem Ableben seines Vaters auf regelmäßige Konsultationen mit dem von seinem Vater eingesetzten Geschäftsführer Victor Lebris, und hatte somit nur wenige berufliche Pflichten. Er verbrachte daher seine meiste Zeit als Lebemann in der gehobenen Gesellschaft von Paris.

Nur im Sommer, der in der Stadt üblicherweise mit unangenehmer Hitze verbunden war, flüchtete er aus Paris ans Meer, und das Jahresende verbrachte er in einem, noch durch seinen Vater erworbenen, prächtigen Herrenhaus an einem der Standorte seiner Fabriken in Lothringen.

Doch genug der Vorrede, lassen wir die Aufzeichnungen von Henri berichten, aus einer Zeit, die in Vielem völlig anders, die handelnden Personen sicher nicht repräsentativ, aber durch das Wesen der Menschen, welches sich in seinen Grundzügen bekanntlich nur über sehr lange Zeiträume hin verändert, in Manchem nicht wirklich Wesentlich vom Heute unterscheidet.

 

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